Beruf oder Berufung?

Gochsheim, 7.30 Uhr. Auf dem Gelände des Transportunternehmens Pabst. LKW-Fahrer Matthias Kux ist startfertig und besteigt seinen LKW, ein Durchlade-Gliederzug der Marke Volvo. Kein Name am Fenster, kein Gebimmel vorm Gesicht und ein astrein geputztes Fahrzeug. Sollten meine Vorurteile nicht bedient werden? Kux erste Tour an diesem Tag wird uns nach Ansbach führen. Dort
soll er einen Lebensmittelmarkt mit Tiefkühlware beliefern. Die muss aber erstmal im Lager, das sich zufällig auch in Gochsheim befindet, aufgeladen werden.

„Tor 14“ heißt es dort und Kux rangiert seinen LKW gekonnt rückwärts an das Tor. „Das hätte ich nie geschafft“, denke ich – hülle mich aber in Schweigen. Da der 46-Jährige auch Ausbilder ist, hat er meist einen jungen Kollegen dabei und zu zweit wird aufgeladen. Heute ist er allein. Er zieht sich die dicke Jacke über, bevor er das Lager betritt. Denn, wie er mich schon vorher gewarnt hat: „Es wird kalt.“ Kalt ist definitiv untertrieben. Bei minus 20 Grad wird die Tiefkühlkost hier aufbewahrt.

Kux lässt die Hebebühne seines Lkw herunter, öffnet die Durchladeklappe und verbindet den Motorwagen mit dem Anhänger. Dann hievt er vom Frostlager eine blaue Kühlbox nach der anderen auf die Laderampe. „Die Sicherung der Ware ist enorm wichtig“ erklärt er. Dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten, zum Beispiel mit Zurrgurten, Zurrdrahtseilen, Antirutschmatten oder auch Sperrstangen. „Schlamperei sollte man sich da nicht leisten.“

Nach etwa 40 Minuten ist die Ware sicher verstaut. „Das ist für mich sportliche Betätigung und verhindert, dass meine Plauze wächst“, sagt er und grinst. Fast 40 Tonnen Gewicht hat das voll geladene Fahrzeug. Gelassen nimmt er noch einen Schluck Kaffee und los geht es Richtung Ansbach. „Das Wichtigste ist, immer die Ruhe zu bewahren. Hektik ist ein Killer.“

Ganz ohne Hektik geht es über die Bundesstraße Richtung Autobahn A 7. Ungewohnt, diese 80 bis maximal 89 Stundenkilometer. „Mehr ist nicht drin“, blickt er mich entschuldigend an. Macht nichts. Ich genieße die Aussicht auf die Wälder rechts der Autobahn und den ungewohnten Blick auf die Autos vor und neben uns. Überholen? „Wenn einer viel langsamer ist, ja. Wenn nicht: Was bringt es, eine Hundertstelsekunde schneller zu sein als der Lkw vor dir?“ Kux spricht mir aus der Seele und wir setzen uns mit den Vorurteilen, die Pkw-Fahrer gegenüber Lkw-Fahrern haben, auseinander. „Für viele Autofahrer sind wir die A-löcher“, sagt er und kritisiert deren Ungeduld, zum Beispiel, wenn er in engen Gassen einmal mehr rangieren muss. Da liegt ihm auf der Zunge zu sagen: „Weißt du eigentlich, wer dir den Spinat und die Fischstäbchen bringt, die du bequem im Supermarkt kaufen kannst?“

Etwa 10 Uhr. Wir verlassen die Autobahn und fahren über die Landstraße weiter Richtung Ansbach. Draußen gießt es aus Kübeln. „Mich schreckt schlechtes Wetter nicht ab, man braucht nur den nötigen Respekt“, sagt der 46-Jährige. Vorausschauend fahren ist für ihn das A und O. Das will er auch den Auszubildenden vermitteln, die zwischen vier bis sechs Wochen ihrer Lehrzeit mit ihm verbringen. „Besonders wichtig ist der Abstand zum nächsten Fahrzeug. Nicht weniger als 50 Meter, sonst ist schnell mal der Führerschein weg.“ Kux empfiehlt jedem Autofahrer ein Fahrtraining, „da lernt man sein Auto in Extremsituationen kennen“. Ich nicke eifrig und nehme mir vor, mich noch vor dem Winter anzumelden.

 

Big Brother is watching you: Kux erzählt, dass Lkw-Fahrer unter ständiger Beobachtung stehen. Statt Tachokarten, auf denen früher die Lenk- und Ruhezeiten eingetragen wurden, funktioniert alles digital über den Tachografen. Dabei speichert die Fahrerkarte die Lenk- und Ruhezeiten für 28 Tage sowie die Daten zur Identität des Fahrers. „Wir Lkw-Fahrer sind wie ein offenes Buch, man weiß immer, wo und wie lange wir uns irgendwo aufhalten.“

Insgesamt viereinhalb Stunden darf Kux am Stück fahren, danach muss eine Fahrtunterbrechung von mindestens 45 Minuten folgen. „Da haben wir ja nach Ansbach kein Problem“, sagt er lachend. Die Tageslenkzeit liegt indes bei neun Stunden. Kux findet es sinnvoll, dass es diese Gesetze gibt. „Sonst würde jeder machen, was er will.“

Kritisch sieht er allerdings die Übernachtungssituation für Lkw-Fahrer auf Rasthöfen. „Trotz Ausbau gibt es immer noch viel zu wenige.“ Auf den Autohöfen werde indes eine Gebühr verlangt, die nicht jeder zahlen kann oder möchte. „So sind die Rastplätze meistens ab 16 Uhr schon voll und man muss sich sputen.“

Ansbach. 10.40 Uhr. Pünktlich fährt Kux auf den Hof des Lebensmittelmarktes ein, meldet sich an und beginnt, seine Ware zu entladen. Sein LKW bleibt auch für die Rückfahrt nicht leer. In einem weiteren Lager lädt er leere Tiefkühlcontainer auf. Wir sind gut in der Zeit. „Trotzdem sollte man einen Puffer einplanen, denn es kann immer mal was sein“, meint der 46-Jährige. Ebenso können Nachtfahrverbote in anderen Ländern oder das Sonntagsfahrverbot in Deutschland zu Verzögerungen führen.

Kux liebt seinen Beruf, den er jetzt seit bald 20 Jahren ausübt. „Ich genieße die Ruhe beim Fahren, aber auch die Kommunikation mit Kollegen auf Rasthöfen oder beim Ausladen.“ Zunächst hat der in der damaligen DDR Geborene den Beruf Lkw-Schlosser gelernt, leitete später einen Fuhrpark für die Grenzkompanie. Dann machte er die Ausbildung zum Berufskraftfahrer und den Fahrlehrerschein. In den vergangen Jahren hat sich einiges in der Branche zum Positiven verändert, sagt er und nennt als Beispiel die Klimaanlage, die jedes
Fahrzeug haben muss. Auch mit dem Navi sei man bequemer unterwegs. Was die Orientierung angeht, ist er trotzdem altmodisch: „Für den Fall der Fälle habe ich immer eine Straßenkarte dabei.“ Seit dem Jahr 2005 tickt auf der Autobahn der Mautzähler, der sich neben dem Tachografen auf der Fahrerseite befindet. „Ich bin sogar für die Einführung einer generellen PKW-Maut. Die gibt es doch in vielen anderen Ländern auch.“

Seit einigen Jahren fährt Kux nur noch kürzere Touren, so dass er am Abend wieder zu Hause bei der Familie sein kann. „Mehrere Tage oder Wochen am Stück unterwegs zu sein, das ist ein Beziehungskiller“, sagt der dreifache Familienvater, während er auf der A 7 an Würzburg vorbeifährt. Da müssten die Ehefrauen schon sehr verständnisvoll sein. Nichts für mich, denke ich und lächle.

Nach fast siebeneinhalb Stunden fährt der 46-Jährige wieder aufs Firmengelände Pabst in Gochsheim ein. Gleich soll die nächste Fuhre nach Ansbach gebracht werden. Aber nicht von Kux. „Mein Auszubildender hat heute Premiere“, sagt er und zwinkert mir zu.